Fitness, Gesundheit, Management | Autor/in: Anke Sörensen & Jürgen Wolff |

Interview mit Christian Graupner: Ich erwarte eine gleichberechtigte Präsenz beider Angebote

Therapie und Training unter einem Dach: Christian Graupner – Geschäftsführer des aktiVital in Dessau – erläutert, wie das hybride Anlagenkonzept aus Fitnesstraining und Physiotherapie erfolgreich gestaltet werden kann.

Das hybride Geschäftsmodell mit Fitnesstraining und Physiotherapie - Christian Graupner vom aktiVital im Interview.

Der Begriff 'hybrid' bedeutet im Fitnessbereich mehr als die Kombination von analogen und digitalen Trainingsangeboten. Ursprünglich bedeutet hybrid 'aus Verschiedenartigem zusammengesetzt'. Der Begriff lässt sich also perfekt auf die Verknüpfung von Therapie und Training unter einem Dach übertragen. Weitere Hintergründe zur 'Fusion von Fitnesstraining und Physiotherapie' lesen Sie hier.

fM: Die Anfänge des aktiVital liegen im Kursbereich. Heute gehören ein moderner Fitnessclub, eine Physiotherapie- und auch eine Schmerztherapiepraxis zum aktiVital Gesundheitszentrum. Was waren die Beweggründe, Ihr Unternehmen frühzeitig auch im Ersten Gesundheitsmarkt zu positionieren, indem Sie bereits 2012 eine Praxis für Physiotherapie in Ihren Club integrierten?

Christian Graupner:

  1. Wir befürchten, dass Fitness in diesem Land perspektivisch für 20 Euro 'verramscht' wird. Gesundheit wird jedoch immer ihren Wert haben und Geld kosten. Dafür reicht es dann nicht, sich singular im Bereich Fitness aufzustellen.
  2. Gesundheit braucht Training. Als Gesundheitszentrum war es uns wichtig, alle Möglichkeiten der Anschlussheilbehandlung nach einer Reha oder auf Anweisung von Mediziner:innen anzubieten.
  3. Zusätzlich wollten wir Menschen, die sich niemals in einem Fitnessclub anmelden würden, einladen, hochwertig und modern therapiert und behandelt zu werden. Wir verfolgen den Ansatz: „Eine Therapie ohne Training ist keine Therapie!“ Eine Kombination von Training und Behandlung ist Grundlage unserer Philosophie in unserer Praxis physioVital.
  4. Als älteste Stadt Deutschlands hat Dessau den höchsten Altersdurchschnitt unter ihren Einwohner:innen. Die Physiotherapie sollte helfen, uns im Markt klarer als Gesundheitsanbieter zu positionieren.

Welche Faktoren waren bei der Implementierung der Physiotherapiepraxis die größten Herausforderungen und wie haben Sie diese bewältigt?

Als Unternehmer war es ein Projekt, das es anzupacken galt. Als Sportwissenschaftler war es sehr anspruchsvoll, die therapeutische Denkweise zu verstehen und als 'Nicht-Physiotherapeut' lag die Herausforderung darin, mit externen Partner:innen und Krankenkassen zu agieren und uns auf die entsprechende Prozedur einzulassen.


 


Haben Sie sich für die Planung, Gestaltung und Einrichtung der Praxis professionelle Unterstützung durch Berater:innen oder Consultants an Bord geholt? Falls ja, inwieweit hat sich dieser Schritt rückblickend bewährt?

Nachdem wir festgelegt hatten, welche Bereiche wir im Haus mit einer Physiotherapie belegen wollen, haben wir zunächst im Team eigene Gedanken formuliert. Da wir oft unseren eigenen Weg gehen, wollten wir uns auch hier verwirklichen.

Nach dem Besuch der Fachmesse therapie LEIPZIG haben wir uns für eine Firma als Ausstatter entschieden, von der wir auch Know-how für die Gestaltung unserer Praxis erhielten. Zusätzlich haben wir uns einem Verband angeschlossen, damit wir von dort Unterstützung erhalten.

Um uns gerade am Anfang bestmöglich auf die Arbeit an den Patient:innen konzentrieren zu können, haben wir mit einer Abrechnungsfirma kooperiert. Da das keine Atomwissenschaft ist, haben wir die Strukturen inzwischen angepasst und erledigen alles hausintern.

Welche Faktoren haben den Erfolg des Projektes 'Physiotherapie' gesichert? Ist dieser Erfolg einer Physiopraxis, die an ein Fitnessstudio angeschlossen wird, planbar?

Unser primäres Ziel war tatsächlich, uns vom Wettbewerb abzuheben, eine Schwarze Null zu schreiben und damit langfristig den Erfolg unseres aktiVital Gesundheitsclubs zu sichern. Heute wissen wir, dass die zufriedenen Gäste im Fitnessstudio ein Erfolgsfaktor für die Physiopraxis waren. Automatisch wurden auch dort Qualität und Herzlichkeit dankbar vorausgesetzt.


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Weitere Erfolgsfaktoren waren auch unsere persönlichen Ansprüche in puncto Qualität, Modernität, Personal und Herzlichkeit, die wir im aktiVital seit Jahren gelebt haben. Und ganz, ganz wichtig ist es, offene und an Entwicklung interessierte, tolle Physios zu finden. Menschen gehen zu Menschen. Hier waren wir bisher vom Glück gesegnet!

Generell denke ich, Erfolg ist planbar; allerdings nur mit Fokus. Einfach nur ein paar Liegen in einen übrig gebliebenen Raum zu stellen, wird nicht funktionieren.

Inwieweit hat auf der einen Seite die Physiotherapie vom angegliederten Fitnessbetrieb und auf der anderen Seite der Fitnessbereich von der Physiotherapie profitiert?

Das wollen und können wir in der Bewertung gar nicht trennen. Wir betrachten alles in unserem Haus als Einheit. Unserem Gesundheitsclub tat das positive Image im Gesundheitsmarkt gut: Unsere Mitglieder fühlen sich am richtigen Ort und in unserem Haus wurde die Eröffnung der Physiotherapie als konsequente Entwicklung in Richtung Gesundheitsanbieter wahrgenommen.

Deshalb bestand unser Klientel in der Physiotherapie zu großen Teilen aus aktiVital-Mitgliedern. Der Club tat auch der Physiotherapie gut. Wir waren sehr schnell ausgebucht und durften uns um Erweiterungen und zusätzliches Personal bemühen.



Durch welche unternehmerischen Maßnahmen sichern Sie im Praxis- und Studioalltag die Synergieeffekte zwischen Physiotherapie und Fitnessbereich?

  1. Gemeinsame Fortbildungen für das Personal aus beiden Bereichen, somit weiß jede:r um die Qualität und das Angebot der Anderen.
  2. Ziel- und nutzenorientierte Kommunikation gegenüber den Patient:innen.
  3. Im Fitnessclub werden Behandlungen in der Physiotherapie empfohlen.
  4. In der Physiotherapie wird die Bedeutung von Training kommuniziert

Grundsätzlich gilt bei uns: Zwar betrachten wir alle Angebote als Einheit und Teil des Gesamtbildes, dennoch darf jeder Bereich autark für sich funktionieren. Deshalb haben wir auch eine Trainingstherapie mit milon und five in die Praxis integriert.

Wir glauben, dass viele Patient:innen sich niemals in einem Fitnessstudio anmelden würden, nur weil ihr:ihre Arzt:Ärztin ihnen ein Rezept verschrieben hat. Das Verständnis für Training ist bei typischen Patient:innen eher nicht vorhanden, das Verständnis für Therapie und Trainingstherapie jedoch schon.

Dieses verbinden sie aber oft nicht mit einem Fitnessstudio. Wenn das Angebot einen medizinischen und therapeutischen 'Touch' hat, sind die Patient:innen dafür offen und schon sind sie im Training – allerdings in der Räumen der Physiotherapie.

Welchen Stellenwert haben in Ihrem Unternehmen die Mitarbeiter:innen und deren Qualifikation für die erfolgreiche Verzahnung von Therapie und Training?

Ich denke, für die Verzahnung von Therapie und Training ist die Qualifikation in der Spitze nicht entscheidend. Mitarbeitende haben für mich persönlich den höchsten Stellenwert im Unternehmen.


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Ich bemühe mich um Augenhöhe und Wertschätzung. Intelligente Mitarbeitende, die ihren Job lieben, können damit sehr gut umgehen. Allerdings nicht alle. Wenn ich ehrlich bin, betrachte ich Mitarbeiter:innen oft unabhängig von Qualifikation und unendlich vielen Fortbildungen.

Der Mensch zählt – das Wollen, die Herzlichkeit, Ehrlichkeit und Empathie. Dennoch sind wir in der Physiotherapie abhängig von der Vergütung durch die Krankenkassen und das ist natürlich an die entsprechende Qualifikation gebunden.

Unternehmen des Ersten und Zweiten Gesundheitsmarktes beklagen einen zunehmenden Fachkräftemangel. Ist für Ihr Unternehmen der Fachkräftemangel auch ein Thema? Falls ja, wie lösen Sie diese Problematik?

Ja, erst recht bei unserem Anspruch. Wir erwarten wirklich viel, aber wir sind überzeugt, dass die klassische Therapeut:innenausbildung und die alten Behandlungsformen längst antik sind. Im Gesundheitsmarkt passiert so viel, in der Ausbildung wird darauf aber nicht reagiert.

Also haben neue Therapeut:innen oder auch Trainer:innen bzw. Coach:innen bei uns ganz schön zu 'leiden', bis sie unsere Ansprüche und Wünsche erfüllen. Nur, weil sie ganz viele Abschlüsse haben, dürfen sie noch lange nicht an unseren Gästen, Mitgliedern oder Patient:innen agieren.

Die Lösung? Wir arbeiten an Ruf und Image, an Qualität und Atmosphäre. Uns ist bewusst, dass sowohl die Tätigkeiten der Therapeut:innen als auch der Gesundheitscoach:innen unglaublich anspruchsvolle Jobs sind.

Dem versuchen wir auf allen Ebenen – Augenhöhe, Ausstattung, Ambiente, Verantwortung, Weiterbildung, Arbeitszeiten, Gehalt etc. – gerecht zu werden und wettbewerbsfähig zu sein.

Vor welche wesentlichen Herausforderungen hat die Corona-Pandemie Ihr Unternehmen in den vergangenen zwei Jahren gestellt und wie sind Sie diesen begegnet?

Die größten Herausforderungen sind die Kommunikation und die oft sinnfreien Vorgaben aus der Politik, häufig in völliger Unkenntnis der Wertigkeit unserer Angebote für die Endkund:innen.

Die ständige Panikmache und Verbreitung von Angst macht etwas mit uns allen. Sie begleiten uns im Alltag und nehmen uns Zuversicht, Leichtigkeit und Präsenz.

Den Fokus ausschließlich auf die Pandemie zu legen und dabei alle anderen Krankheitsbilder, wie Adipositas, Sarkopenie, Diabetes, koronare Erkrankungen, sowie die Psyche und vieles mehr komplett zu vernachlässigen, deren dramatische Folgen billigend in Kauf zu nehmen und den Menschen lange Zeit und in weiten Teilen die Möglichkeit zu nehmen, eigenverantwortlich etwas dagegen zu tun, belastet uns als Gesundheitsanbieter enorm.

Wir als gesamtes Gesundheitszentrum sind bisher durch vielerlei Maßnahmen wirklich gut durch diese Zeit gekommen. Dafür sind wir sehr dankbar.

Wie hat sich der Fitnessbetrieb im Verbund mit der Physiotherapiepraxis vor dem Hintergrund der Digitalisierung in den vergangenen Jahren entwickelt?

Das ist schwer zu beantworten. Aktuell gibt es unserer Kenntnis nach leider noch keine Software, die beide Bereiche optimal und wertig vernetzt. Beide Bereiche entwickeln sich digital separat weiter.

Gibt es aus Ihrer Sicht beim digitalen Wandel wesentliche Unterschiede zwischen Physiotherapie und Fitnessbereich? Inwieweit lassen sich Erkenntnisse aus dem einen Bereich auf den anderen übertragen?

Fitness ist noch immer innovativer, herzlicher, näher am Gast, auch im digitalen Bereich. Das liegt daran, dass die Therapeut:innengilde ihr Geld von den Krankenkassen bekommt, im Fitnessbereich ist der:die Kund:in jedoch Selbstzahler:in.

Man war schon immer um den Gast bemüht. In der Physiotherapie waren Freundlichkeit und Gästebetreuung lange Zeit Fremdwörter. Mit der zunehmenden Zahl der Selbstzahler:innenangebote in den Physiopraxen dreht sich das gerade.

Dennoch ist die Lernaufgabe meiner Einschätzung nach bei den Physiotherapeut:innen – auch wegen nicht immer vorhandener Lernbereitschaft – größer als im Fitnessbereich.

Welche Entwicklung erwarten Sie in den kommenden Jahren für die Kombination aus Physiotherapie und Fitnesstraining? Was sind Ihrer Einschätzung nach die größten Herausforderungen und wie bereiten Sie sich darauf vor?

Für Premiumanbieter:innen im Gesundheitssegment ist beides unabdingbar. 'Physios' entwickeln sich in Richtung Fitness und integrieren Trainings- und Beweglichkeitsbereiche. Fitnessstudios wiederum nähern sich der Physiotherapie.

Im Gesundheitsmarkt ist das reine Gerätetraining langfristig sicher nicht ausreichend. Ich erwarte tatsächlich eine gleichberechtigte Präsenz beider Angebote.

Die größten Herausforderungen sehe ich darin, den Personalmangel zu bewältigen und die Wertigkeit der Arbeit von 'Physios' auch in der Vergütung der Arbeitsleistung durch die Krankenkassen wiederzufinden.

Es ist wichtig, sowohl den Beruf der Physiotherapeut:innen als auch der Fitnesstrainer:innen gesellschaftlich besser anzuerkennen und wertvoller darzustellen. Ohne Gesundheit ist alles nichts und doch ist oft eine Beurteilung dieser tollen Berufe unter Wert wahrzunehmen.

Wir schätzen die Tagesleistung unserer Mitarbeitenden und versuchen, ihnen diese Wertschätzung in vielen Bereichen entgegenzubringen. Das klappt nicht immer, aber immer öfter.

Welche Tipps geben Sie Studiobetreiber:innen mit auf den Weg, die mit dem Gedanken spielen, ihr Angebot um eine Praxis für Physiotherapie zu erweitern?

Machen!


 

Über den Interviewpartner:

Christian Graupner, Jahrgang 1974, hat in Leipzig Sportwissenschaft studiert und war im Anschluss für LES MILLS als Nationaltrainer sowie für Bonsport als Sales-Manager tätig.

Danach gründete er mit einem Partner eine Firma, die Gesundheitssport für Krankenkassen durchführte. Seit 2004 betreibt er das aktiVital Gesundheitszentrum mit Sitz in Dessau.

Unter dem Dach des aktiVital Gesundheitszentrums sind sechs Bereiche mit unterschiedlicher Ausrichtung vereint: der aktiVital Gesundheitsclub für Gesundheitstraining und Fitness, die physioVital Physio- und Trainingstherapie, der Rehaverein rehaVital e.V. für medizinisches Gesundheitstraining, EMS-Training, die Schmerztherapie nach Liebscher & Bracht sowie das Fitness- und Trainingsloft.

Insgesamt 59 Mitarbeitende betreuen hier die Gesundheit von Mitgliedern und Patient:innen.

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